Ausgehend zum einen von der Orthodoxie eines klassisch geprägten – d.h. nordatlantischen – Schreibens der Kunstgeschichte, zum anderen von einer massiv produziert und massiv ignorierten Kunstkritik, wird der Blick auf die Möglichkeiten eines konsequent subjektiven und experimentellen Schreibens über Kunst gerichtet. Sichtbar werden dabei Grundwasserströme, welche die Grenzen zwischen den Territorien seit jeher unterspülen; Träume von unentdeckten Kontinenten; und die schwierige Frage, ob man sich selber wiederholen oder widersprechen will.
Ruedi Widmer Eines Ihrer Themenfelder ist »Das Ende des Schreibens über Kunst«. Was verbirgt sich hinter diesem Titel?
James Elkins Es handelt sich um ein Kapitel in einer aus zwei Seminaren bestehenden Lehrveranstaltung. Das erste Seminar heißt »Experimentelles Schreiben über Kunst«, das zweite »Schreiben mit Bildern«. Die Idee basiert darauf, dass akademische Disziplinen wie Kunstgeschichte, Kunsttheorie, Ästhetik und Kritik1 kein Vokabular entwickelt haben, welches für das Schreiben über Kunst interessant oder auch nur brauchbar wäre. Wir begannen vor einigen Wochen im Zentrum dessen, was als kanonische Kunstgeschichte gilt. Dann verließen wir dieses Feld in Richtung kunsthistorischer Texte, die als experimentell gelten, wie etwa diejenigen von T.J. Clark. Auch Texte von Leo Steinberg und Aby Warburg werden wir lesen. Dann kommt der nächste Kreis mit Texten, die in der Kunstgeschichte nicht unbedingt akzeptiert sind. Wir lesen Texte von Hélène Cixous, und viele andere französische Autoren würden hier – interessanterweise – in Frage kommen. Dazu kommen Texte von Autoren, die im Kontext der Kunstgeschichte rezipiert werden, aber nicht Kunsthistoriker sind, wie etwa Jacques Derridas »De la vérité en peinture«. Dann geht es weiter mit Texten wie beispielsweise Raymond Roussels »Nouvelles impressions d’Afrique«, die Bilder umfließen, ohne dass das eine explizit auf das andere verweist. Das Hauptziel des Kurses besteht darin, den Studierenden aufzuzeigen, dass es außerhalb der disziplinären Kunstgeschichte ein großes, unglaublich reichhaltiges und noch kaum exploriertes Feld der kritischen Auseinandersetzung mit Kunst gibt.
Ruedi Widmer Die Kunstkritik ist für Sie ein sehr weiter Begriff.
James Elkins Ich bin oft in Schwierigkeiten geraten, wenn ich behauptete, dass es sich auch bei ein paar wenigen Zeilen in einer Zeitung um Kritik handelt. Doch wenn ich soeben von »kritischer Auseinandersetzung« sprach, meinte ich vor allem Kritik als Literatur fiktionaler oder kreativ-nichtfiktionaler Art. Sie enthält auch die kritische Selbstverortung (ich denke an Adorno, Derrida, De Man, Lentricchia, Marjorie Perloff, Charles Altieri und viele andere). Diese Teildomäne der Kritik hat, was wohl niemand bestreiten würde, eine hohe Wichtigkeit.
Ruedi Widmer Verstehen Ihre Studierenden, wenn sie schreiben, unter »experimenteller« oder »kritischer Literatur« das gleiche wie Sie?
James Elkins Wir führen dazu interessante Diskussionen. Zur experimentellen Literatur gehört für mich das, was ich »fesselndes« Schreiben nenne: Etwas, was nicht vorhersehbar ist, was mich zum Lesen und zum Weiterdenken zwingt. Ich glaube, dass solche Literatur ihre Ansatzpunkte in einer Gegenbewegung zu gewissen Konventionen entwickelt. Mit Blick auf die Orte im Web, wo, sagen wir, in ungewöhnlicher Weise geschrieben wird, resultiert dann die Frage: Worauf bezieht sich dieses Schreiben, wovon entfernt es sich, wozu nimmt es kritisch Stellung? Da sehe ich oft wenig Widerstand in dem beschriebenen Sinn. Es handelt sich primär um eine freie oder poetische Art, sich auszudrücken. Die Form wird vom Schreibenden geprägt, der Inhalt hingegen wirkt eher austauschbar.
Ruedi Widmer Sie begannen, wie Sie sagten, Ihren Kurs mit der Lektüre von Texten kanonischer Kunstgeschichte. Wo sehen Sie heute das Potential und die Grenzen der Kunstgeschichte in ihren etablierten Formen?
James Elkins Ich bin seit einigen Jahren daran, Material für ein Projekt zu sammeln, das ich vorläufig »Nordatlantische Kunstgeschichte und ihre Alternativen« nenne. Ich reise sehr viel (bisher war ich in 74 Ländern), und eines meiner Interessen ist dabei, wie Kunst gelehrt wird. Langsam nähere ich mich einer Konklusion. Mir scheint, dass viele Beobachter der globalen Ausbreitung der Kunstgeschichte die Hoffnung haben, dass es abseits der Zentren der Kunstwelt und der klassischen Kunstgeschichte unentdeckte »Kontinente« des Schreibens oder Sprechens über Kunst gibt. Ich weiß, dass Hans Belting so denkt, denn er sagt den chinesischen Lesern in der Übersetzung seines Buches »Das Ende der Kunstgeschichte«, sie sollen den westlichen Modellen widerstehen. Das ist aus meiner Sicht naiv. Ein Grund ist, dass Belting mit dem chinesischen Kontext nicht vertraut ist. Wenn er damit vertraut wäre, wüsste er, dass es keinen in China verwurzelten Diskurs über Kunst gibt, den man einfach so mobilisieren könnte. Es gibt zwar in China traditionelle Formen des Schreibens über Kunst, und es wird sogar versucht, sie wieder zum Leben zu erwecken. Doch diese Anstrengungen werden dadurch, dass der Mainstream in China westlichen Modellen des Interpretierens und Erzählens nacheifert, an den Rand gedrängt. Ich meine daher, dass man sich unter Diversität im Schreiben von Kunstgeschichte realistischerweise etwas anderes vorstellen muss. Ein Beispiel: Ich las letztes Jahr einen kunstgeschichtlichen Essay einer Frau aus Bejing, mit dem sie sich für ein Kunstgeschichte-Doktoratsprogramm im Westen bewarb. Als Leser fand ich den Text höchst spannend, gerade weil er nicht dem entsprach, was beispielsweise amerikanische Studierende zum gleichen Thema geschrieben hätten. Aber als jemand, der über den Zugang zu einem Studium oder Doktoratsprogramm entscheidet, musste ich sagen, dass der Text nicht den Standards entsprach. Ich bin in diesem Fall dafür, dass wir den Blick des Lesers kultivieren, denn darin besteht die einzige Chance auf Diversität. Um das besser zu verstehen, kann man das Beispiel des zeitgenössischen Romans nehmen. Sie werden kaum einen Verleger in London oder Berlin finden, der nach der Lektüre eines Manuskripts, das beispielsweise von einer Autorin aus Sri Lanka stammt, die spezielle, von europäischen Standards abweichende Erzählweise dieses Romans als einen Mangel sehen würde. Im Gegenteil: In der Welt der Fiktion und innerhalb der Grenzen dessen, was ein interessierter Leser verstehen kann, werden Differenzen positiv bewertet.
Ruedi Widmer Für die Autorin des von Ihnen erwähnten Textes ist das aber vermutlich kein Trost, denn sie wollte den nordatlantischen Standards genügen. Auch in der Kritik und in der Literatur gibt es ja durchaus einen Druck, Standards zu genügen, um mit Texten überhaupt öffentlich werden zu können.
James Elkins Ich gebe zu, dass auch der möglicherweise sehr originelle Essay eines deutschen Studenten, der beispielsweise für eine Veröffentlichung in »Texte zur Kunst« eingereicht wird, unter Umständen als nicht brauchbar erachtet wird, weil der den Standards nicht genügt. Ich weiß auch, dass die Zuschreibung von künstlerischen Werken zu Herkunftskulturen problematisch sein kann. Woran mir im Beispiel des Essays der Chinesin liegt, ist eine Qualität, die ihrem spezifischen Blick und ihrer ganz eigenen Perspektive zu verdanken ist und für Leser gleicher oder anderer Prägung interessant werden kann. Es ist richtig, dass, wenn wir beim Beispiel der Kunstgeschichte in China bleiben, die meisten Dozierenden und Studierenden Übersetzungen europäischer und nordamerikanischer Autoren lesen und sich daran orientieren. Das heißt aber nicht, dass die von ihnen entwickelten Themen und Fragen genau die gleichen sein werden.
Ruedi Widmer »Andere« Kunstgeschichten werden auch mit künstlerischen Mitteln geschrieben. Im Text von Vinzenz Hediger in diesem Band wird Jean-Luc Godard als Filmhistoriker charakterisiert, der mit den Mitteln der Montage Filmgeschichte »schreibt«. Ist das nicht ein ähnliches Konzept wie Ihr »experimentelles Schreiben über Kunst«?
James Elkins In meinem Projekt beschränke ich mich auf das Schreiben im engeren Sinne des Wortes. Doch auf einer theoretischen Ebene bin ich sehr einverstanden. Die Theorie des Bildes als Kritik ist ein riesiges, noch wenig untersuchtes Feld. Es gibt eine Anzahl sehr interessanter Theorien zur Rolle des Bildes als Argument, die teils bis zu den Anfängen des Modernismus zurückreichen. Zu den Fragen, die mich in der Auseinandersetzung damit leiten, gehört zum Beispiel: Ist es möglich, dass das Werk eines Künstlers, auch wenn er nicht so wie Godard arbeitet, einen Korpus der Kritik repräsentiert? Hierfür braucht es eine Konzeptualisierung in der Frage, wie Bilder in Argumenten oder Argumente in Bildern eine Rolle spielen können. Zu den Theoretikern, die sich damit beschäftigt haben, gehören etwa Gottfried Böhm oder Nelson Goodman.2
Ruedi Widmer Ich denke, dass Kunstgeschichte noch in einer weiteren Form »geschrieben« werden kann. Ich meine damit die Auswahl oder Bewertung von Kunst als bedeutende Kunst, die in der Gegenwart beginnt, indem sich beispielsweise wichtige Sammler und Kuratoren, vielleicht auch Kritiker, auf die Bedeutung bestimmter Entwicklungen, Künstler und Werke einigen.
James Elkins Sie meinen die institutionelle Macht, aus der sich die Festlegung des Kanons ergibt.
Ruedi Widmer Ich würde sogar sagen, dass sich auch Künstler an der medialen Konstruktion ihrer Bedeutung aktiv beteiligen. So zum Beispiel die Avantgarden, deren führende Vertreter oft auch PR‑Strategen waren.
James Elkins Bevor ich das beantworte, muss ich herausfinden, wie zynisch Sie sind. Kennen Sie das Buch »The Making of Paul Klee’s Career«, in dem Otto Karl Werckmeister die These vertritt, dass Klee im Wesentlichen das künstliche Produkt seines Galeristen gewesen sei?
Ruedi Widmer Das Buch kenne ich nicht. Die These finde ich überzogen, aber ich bin der Auffassung, dass die Wirkungsgeschichte vieler Künstler und Künstlergruppen, gerade im 20. Jahrhundert, ohne den Bezug auf die Dimension der PR nicht beschrieben werden kann. Für die deutschsprachige Literatur ist die Gruppe 47 ein Beispiel, für das französische Kino die nouvelle vague. Sie hat, zusammen mit dem publizistischen Vehikel der »Cahiers du cinéma«, sehr bewusst Filmgeschichte geschrieben, in ihren Filmen und in ihren Texten. Erstere wie letztere haben die universitär verfasste Filmgeschichte stark geprägt.
James Elkins Nun verstehe ich, was Sie meinen. Für die nordatlantische Kunst und ihre jüngere Geschichte ist dafür »October« das Paradebeispiel. Ich glaube nicht, dass es heute einen einzigen Vollzeit-Kunsthistoriker im westlichen Europa oder in Nordamerika gibt, der von dieser Zeitschrift nicht beeinflusst ist. Die Betreffenden werden es vermutlich nicht zugeben, aber der Einfluss von »October« in der universitären Kunstgeschichte ist enorm.
Ruedi Widmer Das ändert aber offenbar Ihre 2007 in »The State of Art Criticism« vertretene Diagnose nicht. Darin sagen Sie, dass Kunstkritik massiv produziert und massiv ignoriert wird.
James Elkins Die These war auf die Kunstkritik für ein breiteres Publikum gemünzt. Dass »October« von Kunsthistorikern gelesen wird, ändert an der Diagnose tatsächlich nichts.
Ruedi Widmer Alle drei erwähnten Akteurtypen – der Journalist, der Hochschullehrer und der Künstler – scheinen sich immer mehr damit zu arrangieren, dass ihre insgesamt massive Produktion einem insgesamt massiven Desinteresse gegenübersteht.
James Elkins Das ist richtig. Die allgemeine Aufmerksamkeit für Kunst ist sehr eingeschränkt. Zum aktuellen Rekordverkauf eines Francis Bacon-Triptychons erschienen in der New York Times zwar nicht weniger als vier Artikel. Nur in einem – dem von Roberta Smith – wurde aber erwähnt, dass die Bedeutung des Werkes womöglich nicht so groß ist wie der erzielte Preis.
Ruedi Widmer Am Beispiel Bacon sieht man, dass einzelne Künstler und Werke sehr wohl Gegenstand des Interesses und auch, wenn Bacon etwa im Metropolitan Museum gezeigt wird, öffentlicher Verehrung werden können. In »The Absence of Judgement in Art Criticism«3 zitieren Sie einen Satz, wonach der kulturjournalistische Wortschatz kritisch, seine Tonart hingegen immer mehr eine feiernde sei. Die Verehrung und das Feiern ist offenbar das Maximum dessen, was im Leerraum zwischen der verglühenden Kunstreligion und dem kalten Konsumismus noch möglich ist.
James Elkins Das würde ich nicht bestreiten. Die Beschreibung gilt allerdings mehr für die bildende Kunst als beispielsweise für die Literatur und das Theater, wo es in der kritischen Berichterstattung durchaus noch die Tonart des gehässigen Verrisses gibt.
Ruedi Widmer Bezüglich der Kriterien, anhand derer Kunst beurteilt wird, sagen Sie, dass die Gegenwart in der Vergangenheit untergeht, indem die Konzepte und Diskurse von Meisterdenkern wie Adorno unwidersprochen im Raum stehen bleiben.
James Elkins Eine Tagung zum Thema Kritik an der Parsons The New School, an der ich vor drei Jahren teilnahm, hat genau das in schlagender Weise zum Ausdruck gebracht. Der Tag war in zwei Hälften geteilt. Der Morgen war der Kritik an der Kunstschule gewidmet. Der Nachmittag galt den Theorien Adornos. Offenbar gingen die Veranstalter davon aus, dass durch sie dem Alltagsgespräch über Kunst die ihm fehlende Ordnung und Klarheit verliehen werden kann. Es wurde klar, dass dieser Weg schwer zu gehen ist: Keiner der Adorno-Experten machte auch nur einen Versuch, Adornos Konzepte für die heutige Alltagsverständigung über Kunst fruchtbar zu machen. Ich überlege mir daher, ob nicht die ganz andere Strategie, neue Konzepte in Anschlag zu bringen, mindestens so erfolgsversprechend ist. Sianne Ngai versucht dies in ihrem Buch »Our Aesthetic Categories: Zany, Cute, Interesting«, worin sie beispielsweise das alltagssprachliche Adjektiv »süß« [cute] als ästhetische Kategorie zu fassen versucht.
Ruedi Widmer Offenbar gibt es hier nur zwei Möglichkeiten: Entweder man denkt über Ästhetik auf sozusagen gesichertem begrifflichem Boden weiter – oder man wagt sich in flüssigere Territorien vor, wo Widerspruchsfreiheit nicht mehr im Zentrum steht. Zweierlei kommt mir dazu in den Sinn: Einerseits der alternde Politiker Jean-Pierre Chevènement, der kürzlich im französischen Fernsehen sagte, dass man sich als Politiker entweder wiederhole oder widerspreche, und dass er zweiteres vorziehe. Andererseits Ihre Gegenüberstellung der Kritiker Michael Fried und Jerry Saltz in Ihrem Kunstkritik-Text: Den einen schildern Sie als standfesten Fels in der Brandung, den anderen als »positionslose Position«.
James Elkins Die »positionslose Position« ist mittlerweile noch populärer geworden. Saltz wird in der ganzen Welt gelesen und eingeladen.
Ruedi Widmer Eine Art, mit dem Dilemma umzugehen, ist es, ganz dezidiert aus dem ganz eigenen Erfahrungshorizont heraus zu schreiben. Sie haben sich in Ihrem Buch »What Photography is«4 mit Roland Barthes’ »Die helle Kammer« auseinandergesetzt. Dabei ging es Ihnen darum, Fotografie als Form der Erfahrung von Einsamkeit zu beschreiben.
James Elkins Das Fotografiebuch war für mich ein Sprungbrett in die Richtung des experimentellen Schreibens über Kunst. Ich versuchte in diesem Buch zum ersten Mal, die konventionelle Art des Schreibens über Kunst hinter mir zu lassen und Barthes’ Idee vom Schreiben so ernst zu nehmen, wie ich nur konnte. Nach dem Abschluss des Textes hatte ich den Eindruck, etwas produziert zu haben, das für die Kunstgeschichte, Kunsttheorie oder Kritik nutzlos war. Hingegen schien es mir, dass man den Text als eine Art, wie der Gegenstand und die eigene Erfahrung in der Form des Schreibens Spuren hinterlassen, ernst nehmen kann.
Ruedi Widmer Wenn ich unser Gespräch rekapituliere, dann steht auf der einen Seite die Diagnose »massiv produziert«, »massiv ignoriert«, auf der anderen Seite die Lust oder der Zwang zur radikal eigenen Perspektive.
James Elkins Es stimmt, dass es für Autoren dies- und jenseits der Kunstgeschichte enorm herausfordernd geworden ist, eine eigene Stimme zu finden. Das Feld ist so dicht besetzt. Viele denken, und oft zu Unrecht, dass sie etwas zu sagen haben und über einen unverwechselbaren Stil verfügen. Ich erinnere mich an eine Kunsthistorikerkonferenz, die sich mit der Frage auseinandersetzte, wie und warum man gehört wird. Der Titel meines damaligen Vortrags lautete: »Wie nahe können wir dem Punkt kommen, wo wir zugeben, dass es in unserem Schreiben vor allem um uns selbst geht?« Ich denke, daran sieht man, dass es in der Debatte zur Subjektivität im Schreiben über Kunst zwar viele Ansatzpunkte, aber noch kaum gültige Antworten gibt.
Das Gespräch wurde am 12. November 2013 via Skype geführt.
1 Das im Interview verwendete Wort criticism bzw. art criticism wird hier, ob
wohl die Semantik in Englischen mit derjenigen im Deutschen nicht übereinstimmt, mit Kritik bzw. Kunstkritik übersetzt. Mitgemeint sind, wie durch den Kontext erschließbar wird, Texte und Diskurse explizit akademischer oder essayistischer Prägung. Ein anderer Begriff, die hier trotz semantischer Unterschiede bewusst mit dem analogen deutschen Wort übersetzt wird, ist literature. Zur Bedeutung des Begriffs criticism vgl. auch den Beitrag von Vinzenz Hediger.
2 Vgl. James Elkins, Kristi McGuire, Maureen Burns, Alicia Chester (Hg.): Theorizing Visual Studies, New York 2013.
3 James Elkins: »On the Absence of Judgement in Art Criticism«, in: James Elkins, Michael Newman (Hg.): The State of Art Criticism, New York 2008, S. 71–96.
4 James Elkins: What Photography is, New York 2011.
Laienherrschaft
18 Exkurse zum Verhältnis von Künsten und Medien
broché, 320 pages
Inkl. Mit Zeichnungen von Yves Netzhammer
PDF, 320 pages
Die vielfach geforderte Freiheit des Einzelnen, Kunst nach eigenem Gutdünken zu rezipieren, zu genießen, aber auch zu produzieren und damit zu definieren, ist heute weithin Realität geworden. Wir leben im Zeitalter der Laienherrschaft in den Künsten und den mit ihnen verbundenen Medien: einem Regime, das auf der Dynamik der Massen-Individualisierung und dem Kontrollverlust etablierter Autoritäten beruht, in dem jede Geltung relativ ist und die Demokratisierung in ihrer ganzen Ambivalenz zum Tragen kommt.
Die Essays und Interviews des Bandes kreisen um die Figur des Kulturpublizisten. Wie wirken Ökonomisierung und Digitalisierung auf sein Selbstverständnis ein? Wie sieht es mit der gegenwärtigen Rollenverteilung zwischen Publizist und Künstler aus? Wie verhält sich der Publizist gegenüber dem immer eigenmächtiger auftretenden Rezipienten? Der zeitgenössische Kulturpublizist tritt als Diskursproduzent und als Weitererzähler flüchtiger Wahrnehmung auf; doch auch als Interpret, der als Leser und in diesem Sinne als »Laie« seine Stimme entwickelt – jenseits aller Reinheits- und Absicherungsgebote, die etwa die Wissenschaft aufstellt. Eine Kultur des Interpretierens als eine von der Laienperspektive her gedachte Kultur der Subjektivität, der Aufmerksamkeit, der Sprache und der Auseinandersetzung mit den Künsten ist in Zeiten der Digitalisierung eine unschätzbar wertvolle, omnipräsente und zugleich bedrohte Ressource.
Mit Zeichnungen von Yves Netzhammer.