»Der beste Reporter, der je für den New Yorker schrieb«


Der Calypso stammt aus Trinidad, einer gut zehn Kilometer vor der Küste Venezuelas gelegenen britischen Karibikinsel, von der die Welt außerdem Asphalt und Angostura bezieht. Geschrieben und gesungen werden diese Lieder von einer Reihe hochmütiger, trinkfester und auch sonst nicht gerade für vorbildlichen Lebenswandel bekannter Männer. Sie bezeichnen sich selbst als Calypsonians. In der Mehrzahl sind sie Neger. Stets auf der Suche nach einer Geschichte, die als Anregung für einen neuen Calypso dienen kann, ziehen sie mit der Gitarre unterm Arm durch die Rumschenken und chinesischen Lokale am Marine Square und in der Frederick Street von Port of Spain, der Hauptstadt Trinidads. Einige Calypsonians prahlen damit, dass Frauen sich darum streiten, sie aushalten zu dürfen. Die meisten von ihnen kennen die Inselgefängnisse auch von innen. Um sich von Normalsterblichen abzuheben, treten sie nicht unter ihren richtigen Namen auf, sondern schmücken sich mit Titeln wie Growler, Lord Executor, King Radio, Attila the Hun, Lion, Gorilla, Caresser, Senior Inventor und Lord Ziegfeld. Einige Calypsolieder beruhen auf Sensationsnachrichten, etwa einem Gattenmord, einem mit Schnappmessern ausgetragenen Streit zwischen zwei stadtbekannten Prostituierten oder dem Selbstmord einer liebestollen weißen Engländerin. In anderen geht es um abstraktere Themen wie Liebe, Ehre, die Vertreibung aus dem Paradies, die Vorzüge einer Ehe mit einer Frau, die hässlicher ist als man selbst, oder die Frage, ob ein Kater von Rum oder von Gin schlimmer ist. Wieder andere Calypsos sind Charakterstudien; dazu gehört »They Talk about Nora’s Badness«, in dem die Schwäche einer Nora mit folgendem Refrain beschrieben wird: »Sie geht ins Tanzlokal und trinkt Alkohol mit Peter und Paul.«


Einige Calypsosänger singen ein Patois aus Englisch, Spanisch, Französisch und Hindi-Wörtern, aber die meisten singen Englisch mit eigenartig entstelltem britischem Akzent. So wird »parrot« bei ihnen zu »pair-ott«, »temperament« zu »tem-pair-a-mint« und »hat« zu »hot«. Sie lieben pompöse Wendungen und hochtrabende Worte. Der Lion sagt zum Beispiel nicht »Hallo«, sondern »Ich achte die Erfüllung der Gepflogenheit und wünsche Ihnen guten Tag«. In den Ohren der britischen Kolonialherren klingen viele Calypso­texte obszön oder aufrührerisch, und manchmal werden Lieder verboten und die Sänger ins Gefängnis gesteckt. Angeblich aus diplomatischen Gründen hat die Kolonialregierung kurz vor dem Krieg einen anmaßenden Calypso mit dem Titel »Hitler Demands« verboten, in dem der Growler sang: »Hitler, Kumpel, mach mal halblang, sonst schmeißen wir dich raus aus Deutschland«. Mit »wir« meinte der Growler das British Empire.


Der umtriebigste aller Calypsosänger ist ein Mann, der sich Wilmoth Houdini nennt. Er hat Trinidad vor ein paar Jahren verlassen und sich als Schmierer auf einem Frachtschiff seine Passage nach New York verdient. Gelegentlich kehrt er zu einem längeren Besuch nach Trinidad zurück, wo er seinen Unterhalt mit Auftritten als »The Calypso King of New York« in den Lichtspielhäusern von Port of Spain bestreitet. Die meiste Zeit lebt er jedoch in einem möblierten Zimmer in der 114th Street West in Harlem, wo es eine große Kolonie von Einwanderern aus Trinidad gibt. In seinem Pass steht der Name Edgar Leon Sinclair, aber in Harlem heißt er nur Mr. Houdini. Zu diesem Namen wurde er durch einen Fortsetzungsfilm über den Zauberer Houdini angeregt, den er 1916 gesehen hat. Er war der erste Calypsosänger, der Schallplatten aufgenommen hat. Von den mehr als eintausend Liedern, die er geschrieben hat, wurden mittlerweile etwa sechshundert auf Schallplatte gepresst. Viele Klassiker stammen aus seiner Feder, darunter »Old Man You Too Old, You Too Bold, in Fact You Too Cold«, »I Like Bananas Because They Have No Bones«, »Keep Your Money, Hot Daddy« und »Drunk and Disorderly«. Öffentliche Auftritte hat Houdini bei sogenannten Picknicks, die das Trinidad Carnival Committee, ein Verein geselliger und heimwehkranker Trinidader, in Harlemer Veranstaltungssälen organisiert. Houdini ist eine treibende Kraft in dem Verein; andere sind die Geschäftsführerin eines Schönheitssalons, ein ehemaliger Stadtrat und ein Zahnarzt. In Harlem gibt es zwei gute westindische Kapellen, die Caribbean Serenaders und die Krazy Kats, aus deren Reihen die Musiker für die Picknicks angeworben werden. Der Verein verteilt Handzettel mit folgender Ankündigung: »Kommen Sie essen und tanzen! Sie haben vom Calypso gehört? Sehen Sie ihn sich an, Mister! Sehen Sie ihn sich an, Madam!« 


Eines Abends besuchte ich mit Mr. Ralph Perez, einem Puertoricaner spanischer Herkunft, der in der Exportabteilung von Decca Records, Inc. arbeitet, ein Picknick des Vereins. Mr. Perez ist seit fast zwanzig Jahren im Schallplattengeschäft und hat für verschiedene Firmen Sammlungen mit lateinamerikanischer, mexikanischer und westindischer Musik zusammengestellt. Decca schickt ihn einmal im Jahr nach Port of Spain. Er fährt kurz vor der Karnevalsaison dorthin, die der Fastenzeit vorausgeht, wenn die Trinidader auf unbebauten Flächen palmgedeckte »Zelte« aufstellen und die besten neuen Kompositionen vortragen. Er mietet ein Haus, das er schalldicht isoliert, nüchtert eine Handvoll Sänger aus und nimmt mit ihnen einen ganzen Jahresvorrat an Calypsoliedern auf.


Das Picknick, zu dem mich Mr. Perez mitnahm, fand in einem langen, schmalen Saal im zweiten Stock eines heruntergekommenen Gebäudes in der Lenox Avenue kurz vor der 116th Street statt. Als wir um zehn Uhr dort eintrafen, waren nur etwa fünfzig Menschen da. »Die Picknicks fangen normalerweise erst spät an und dauern bis zum Morgengrauen«, meinte Mr. Perez. An einer Wand waren Stühle aufgereiht, auf denen plaudernd und rauchend mehrere dicke Frauen mittleren Alters saßen. Für die Musikkapelle war mit einem Seil etwas Raum abgeteilt worden. Jenseits der Abtrennung auf der anderen Seite des Saals befanden sich eine kleine Bar und fünf mit weißem Wachstuch bedeckte Tische. An den Tischen saßen junge schwarze Frauen und Kreolinnen in Abendgarderobe und tranken. Ich sah, wie eine von ihnen eine Whiskey­flasche aus der Handtasche holte. Sie goss sich etwas davon in einen Pappbecher, den sie in einem Zug leerte, und steckte die Flasche wieder zurück in die Handtasche. »Die warten auf ihre Männer« sagte Mr. Perez. »Die Männer im Viertel arbeiten bis tief in die Nacht, die meisten jedenfalls. Sie werden hier vor allem Liftboys, Friseure, Hoteldiener, Musiker und einige Geschäftsleute treffen.« Wir gingen durch den Raum und stellten uns an die Bar, die von einer drallen, freundlichen Frau geführt wurde. Mr. Perez sagte, dies sei Mrs. Lynch, ein Mitglied des Vereins und Geschäftsführerin von Isabel’s Salon, einem Schönheitssalon in Harlem. Ihre Töchter, zwei ernst blickende, hübsche Mädchen, gingen ihr zur Hand. Mrs. Lynch legte Bier- und Limonadeflaschen in eine zur Hälfte mit Eis gefüllte Wanne. Hinter dem Tresen hing ein Schild: »PATTIES UND PAYLOU KOSTENLOS IN DEN PAUSEN AN DER BAR, GETRÄNKE ZU ANGEMESSENEN PREISEN.« Mr. Perez sagte, das bei den Picknicks beliebteste Getränk sei Rye-Whiskey mit Orangenlimonade. »Die meisten Leute bringen ihren Whiskey selbst mit«, erklärte er. Als Mrs. Lynch die Flaschen in die Eiswanne gelegt hatte, meinte sie: »Ich hab zu Houdini gesagt, er soll losgehen und den Whiskey für heute Abend besorgen, aber er lässt sich ganz schön Zeit.« An den Ohrläppchen von Mrs. Lynch hingen kurze weiße Fädchen, und ich fragte sie, was das sei. »Nur Zahnseide«, antwortete sie. »Ich hab mir Ohrlöcher stechen lassen, und der Arzt meinte, ich soll sie mit Zahnseide offen halten. Kann sein, dass es seltsam aussieht, aber weh tut es nicht.« Ich hörte Lärm auf der Treppe, und gleich darauf kam die Musikkapelle herein: Gregory Felix und drei seiner Krazy Kats, ein Schlagzeuger, ein Geiger und eine junge Klavierspielerin namens Wilhelmina Gale. »Ich bin die Klarinette«, sagte Mr. Felix. »Und Houdini spielt Rumba-Rasseln und die Ginflasche. Wir sind also ein Quintett.« Miss Gale ging zum Pianino und entfernte die vordere und obere Abdeckung. Ohne weitere Umschweife nahmen sie und die anderen ihre Positionen ein und spielten einen Rumba. Als sei das das Startsignal gewesen, strömten die Leute nun in Scharen die Treppe herauf, und bald waren mehr als zweihundert Menschen in dem kleinen Saal.


Nachdem die Kapelle ein paar Rumbas gespielt hatte, kam ein dünner Mann mit traurigem Blick die Treppe herauf. Im Revers seines Kamelhaarmantels steckte eine gelbe Rose. Unter einem Arm trug er ein großes Paket, unter dem anderen klemmte ein großer Schmortopf, dessen Deckel mit einem Strick festgebunden war. »Da ist Houdini«, sagte Mr. Perez. Als Houdini lässig an der Kapelle vorbeischlenderte, rief er: »Ich hab Whiskey und Paylou, Jungs.« Paylou ist Hühnchen mit Reis und Zwiebeln, erklärte Mr. Perez. (In Charleston wird es »Pilau« geschrieben.) Houdini reichte Mrs. Lynch den Topf. Mr. Perez stellte mich Houdini vor, der sagte: »Freut mich, Sie kennenzulernen. Trinken wir was.« Er riss sein Paket auf und stellte fünf Literflaschen Whiskey auf den Tresen. Dann verschwand er, um einen Augenblick später mit einem Krug voll milchiger Flüssigkeit zurückzukehren. »Selbstgebrautes Ingwerbier«, sagte er. »Das hilft gegen den Alkohol. Wenn man Ingwerbier trinkt, kann einem der Whiskey zwar in die Füße gehen, aber er steigt einem nicht zu Kopf, weil ihn das Ingwerbier unten hält.« Er goss sich etwas davon in einen Pappbecher, kippte einen ordentlichen Schluck Whiskey dazu und trank das Ganze in einem Zug aus. Danach fragte er nach seinen Rasseln. Mrs. Lynch reichte ihm ein Paar Maracas, mit Schrotkugeln gefüllte Kalebassen. »Das erste Lied heißt ›Daddy, Turn on the Light‹«, sagte er. Damit betrat er den für die Kapelle abgeteilten Bereich, stieg auf einen Stuhl und rief: »Legen wir los, Jungs!« Es war, als ginge ein Ruck durch die Kapelle, als er mit den Maracas zu rasseln begann, und kurz darauf waren alle im Saal auf den Beinen und tanzten Lindy-Hop, Susy-Q und Shim-Sham-Shimmy. Houdini steckte sich die Maracas in die Taschen und nahm ein Megaphon. Die Tänzer schienen seinem Gesang keine Beachtung zu schenken, nur die alten Frauen auf den Stühlen an der Wand saßen ganz aufrecht und hörten ihm aufmerksam zu, und hin und wieder trat ein breites Lächeln auf ihre Gesichter. Die erste Strophe lautete:


Mach das Licht an, Liebster, bitte.


Muss es sein, dass du mich beißt?


Schatz, drück mich bitte nicht so fest,


Nicht, dass du mich heute noch verletzt.

Das Lied schien überhaupt nicht mehr aufzuhören. Schließlich kam die letzte Strophe:


Eines solltest du nun wirklich wissen


Und gefälligst nicht vergessen.


Liebster, so darfst du mich nicht behandeln,


Du musst mich auch mal tanzen lassen,


Zum did de-dup, bick bick bickety buck


Mich auch mal tanzen lassen.

Als das Lied zu Ende war, sprang Houdini vom Stuhl und eilte zur Bar. »Wo ist mein Ingwerbier?«, fragte er. Mrs. Lynch gab ihm den Krug und er mixte Drinks für sich und die Musiker. Vor der Bar standen Männer und Frauen in drei Reihen, und Mrs. Lynch hatte alle Hände voll zu tun, Rye-Whiskey zu fünfzehn Cent das Glas auszuschenken. Manche hielten eine Flasche Orangenlimonade in einer Hand, ein Fläschchen Rye-Whiskey in der anderen und ließen auf einen kleinen Schluck Whiskey einen tiefen Zug Limonade folgen. Eine beschwipste junge Frau stieg lachend auf einen der Tische gegenüber der Bar und begann zu steppen. Da kippelte der Tisch, und sie sprang kreischend zurück auf den Boden. Dabei zerriss sie sich das Kleid. Eine ältere Frau, offenbar ihre Mutter, lief zu ihr und begutachtete den Schaden. »Warum führst du dich auch so auf, Fräulein Wackelpo?«, schimpfte sie. »Jetzt hast du dir das Kleid ruiniert.« »Ach, macht nichts«, antwortete die junge Frau. »Das war sowieso schon alt.« Houdini ging hinter den Tresen und holte einen Löffel und eine eckige grüne Ginflasche. Er zeigte sie mir. »Die ist aus Trinidad«, sagte er. »Aus ihr habe ich schon eine Menge Melodien gekitzelt. Ich kann sie zum Singen bringen. Ich nenn sie meine alte Klimperpulle.« Die Flasche war zu einem Drittel mit Wasser gefüllt. Die Kapelle stimmte einen weiteren Rumba an – wobei alles, was sie spielte, nach Rumba klang – und Houdini kehrte in den abgeteilten Bühnenbereich zurück. Er stieg auf den Stuhl und begann, mit dem Löffel einen eingängigen Rhythmus auf die Flasche zu klopfen. Bald übertönte er die ganze Kapelle. Plötzlich fing er unvermittelt an zu singen:


Oh, mir tut die Seele weh,


Wenn ich diesen Johnnie seh.


Leute, das wird fürchterlich,


Ins Grab kommt Johnnie, an den Galgen ich.

Die alten Frauen an der Wand lächelten wieder. »Der Calypso heißt ›Johnnie Take My Wife‹«, bemerkte Mr. Perez.


Dieser Johnnie muss ja ganz toll sein,


Wenn Frauen ihm sogar im Schlaf nachschreien.


Doch damit mach ich heute Schluss,


diesen Weiberjohnnie nehm ich mir zur Brust.


Ich ging ins Haus, nahm mein Gewehr,


Meine Frau sah mich und kreischte sehr.


Und dann bin ich richtig durchgedreht,


versteckte Johnnie sich da unterm Bett.


Johnnie, Johnnie, das war eins zu viel,


dass du Houdini auch zu Haus bestiehlst.


Nun sieht schon bald ein Richter mich, 


Wegen Mordes land ich vor Gericht

Auch Houdinis nächste Nummer war ein Stück über eine unglückliche Liebe. Es war außerordentlich sentimental. Zwischendurch hörte er auf zu singen und rief in einer unbekannten Sprache: »Bick bick bickety bong bong de dup.« Der Refrain lautete: »Später wirst du mir die Liebe sicher mal vergelten, aber heut’ kann ich dazu nichts vermelden.« Nur die alten Frauen an der Wand hörten ihm zu. Die Männer und Frauen auf der überfüllten Tanzfläche waren ganz mit sich beschäftigt. Mitunter zuckte einer der Tanzenden gespielt lasziv und stöhnte laut, was die anderen zu lautem Gelächter und Geschrei veranlasste: »Halt durch, Mann! Halt durch!« oder »Ruhig Blut, Schwester!« Mr. Perez betrachtete die schwitzenden Tänzer und meinte: »Auf Trinidad findet sich eine Mischung von Menschen aus aller Herren Länder – Franzosen, Spanier, Kariben, Neger, Hindus und Chinesen. Das sehen Sie schon an den Gesichtern. In dem des großen Rumbatänzers können Sie zum Beispiel den Hindu erkennen. Auf Trinidad leben tausende Hindus. Und das Mädchen, das mit ihm tanzt, ist Kreolin.« Ich sah zu der Kreolin hinüber. Sie hatte ein wunderschönes Gesicht, das mich an Dolores Del Rio erinnerte. Schließlich wurde Houdini müde und stieg vom Stuhl. Mr. Perez bat ihn, sich zu uns zu setzen und etwas mit uns zu trinken. Er brachte seinen Krug Ingwerbier mit. Als ich ihn fragte, wie er Calypso­sänger geworden sei, begann er so flüssig und gut zu erzählen wie jemand, der nicht zum ersten Mal in der Öffentlichkeit spricht.


»Angefangen hat alles 1916, da wurde ich erweckt«, sagte er. »Vorher war ich ein Niemand. Doch 1916 gründete Maggie Otis, eine bemerkenswerte Frau, in Port of Spain eine Musikkapelle. Sie war die Sängerin und ich der Sänger. Die Kapelle hieß African Millionaires und bestand aus vierundzwanzig Männern und Frauen. Die Männer trugen grüngestreifte Seidenhemden, Flanellhosen und weiße Schuhe und jeder hatte eine Kamera, ein ausgestopftes Krokodil oder einen Feldstecher umhängen. Damit haben wir die reichen Touristen, die nach Trinidad kommen, nachgeäfft. Die Frauen zogen sich entsprechend an. An Mardi Gras, also zwei Tage vor Beginn der Fastenzeit, stiften die großen Geschäfte und Unternehmen in Port of Spain Rum- und Geldpreise für die Calypsonians, die das beste Lied über ihre Waren singen. 1916 habe ich mit Unterstützung der African Millionaires an diesen Reklamewettbewerben teilgenommen und sieben an einem einzigen Tag gewonnen, ohne Vorbereitung und gegen Männer wie den Senior Inventor und den Lord Executor. Ich habe den großen Preis von Angostura Bitters bekommen, den großen Preis der Royal Extra Stout Brauerei und noch andere. Bei diesen Wettkämpfen muss man ein Lied aus dem Stand heraus improvisieren und auch noch mit der Kapelle im Takt bleiben. Dazu braucht man Inspiration.


Damals gab es in einem Zelt einen Krieg zwischen mir und ein paar alten Calypsonians. Ein Zelt ist eine Bambushütte mit einem Palmendach, in dem die Calypsonians während des Karnevals singen und dafür Eintritt verlangen. Und Krieg bedeutet, dass in einem Zelt drei Calypsonians auf die Bühne kommen und in Reimen improvisieren. Einer fängt an und zieht in einer Strophe über das hässliche Aussehen und den schlechten Charakter der beiden andern her. Der nächste greift das auf und spinnt das Lied fort. Und so geht es immer weiter. Wenn man an der Reihe ist und es fällt einem nichts ein, dann sollte man sich besser nicht Calypsonian nennen. Die meisten Lieder bestehen nur aus Beleidigungen. Man beleidigt die anderen, und dann beleidigen die einen. Es gewinnt derjenige, der die schlimmsten Beleidigungen findet. In meinem ersten Krieg habe ich die anderen so beleidigt, dass sie mir hinterher gratuliert haben. Seitdem habe ich meinen Ruf und mein Ansehen als Houdini der Calypsonians verteidigt. Mein Hirn arbeitet wie ein Uhrwerk. Ich kann zu jeder Zeit über jedes beliebige Thema singen. Wenn Sie zu mir sagen: ›Singen Sie mal ein Lied über den Herrn da drüben‹, dann hole ich einmal kurz Luft, und los geht’s.«


Die wunderschöne Kreolin kam an unseren Tisch. Sie legte die Hand auf Houdinis Kopf und sagte: »Hör auf mit dem Gequassel, Papa Houdini, und spendier mir einen Drink.« Houdini lachte und sagte: »Aber mit dem größten Vergnügen, meine Dame!« Er schenkte ihr Glas voll, und sie küsste ihn und zog von dannen.


»Verzeihen Sie die Störung«, sagte Houdini, wobei er der jungen Frau mit Blicken folgte. »Wie ich eben sagte, bin ich ein echter Calypsonian und hier im Land der einzige. Ich muss natürlich immer wieder nach Trinidad zurück, um meine Inspiration aufzufrischen. Das ist wie eine Tür, die lange zu war. Bei der werden die Angeln rostig. Aber sobald der Rost von den Angeln ab ist, geht die Tür wieder wie geschmiert. Ich muss zurück nach Trinidad, um den Rost von mir runterzukriegen. Ich muss zurück und Calaloo essen. Das ist Blaukrabbensuppe, ein Sonntagsessen. Ich muss auch zurück und Gin-Juleps trinken. Das ist der Saft grüner Kokosnüsse mit Gin. Das baut meine Vitamine auf und gibt mir Inspiration. Ich erzähle Ihnen jetzt etwas ganz Eigenartiges über mich. Ich bin in Brooklyn geboren. Im Jahr 1902. Mein Vater war Steward, und meine Familie lebte in Brooklyn, als ich auf die Welt kam. Natürlich gingen wir nach Trinidad zurück, als ich zwei war. Meine Familie ist schon immer viel unterwegs gewesen.«


»Houdini, komm mal her!«, rief Mrs. Lynch.


»Augenblick noch«, brüllte Houdini zurück. Er trank einen weiteren Schluck und nahm den Faden wieder auf. »Ich sag Ihnen was«, begann er, »ich verstehe überhaupt nicht, warum mich kein großer Nachtclub engagiert, damit ich Calypso singe. Das wär mal was Besonderes. Eine echte Sensation. Früher oder später kommt das auch. Wenn mich der Whiskey nicht vorher umbringt, lande ich noch im Madison Square Garden.


Ich habe schon wieder eine ausgiebige Vielzahl neue Lieder komponiert. Sie fallen mir ständig ein, am Tag wie in der Nacht. Gestern Abend war ich im Apollo Theater und bin im strömenden Regen heimgelaufen. Also nahm ich ein Bad, um keine Erkältung zu kriegen. Wie ich da so in der Wanne lag, kam mir die Idee zu einem neuen Calypso. Ich hab mit den Fingern auf den Wannenrand geklopft, um die Melodie dazu zu finden. Als Titel fiel mir ›From the Day of Birth I Been Told I Got Rhythm in My Soul‹ ein. Mein Schrank ist so voll mit Kompositionen, dass ich für Anzüge keinen Platz mehr drin habe. Ich glaube, ich werde ziemlich bald neue Schallplatten aufnehmen. Früher habe ich mit meinen Musikern für eine Aufnahme fünfzig Dollar bekommen und einen Penny für jede verkaufte Schallplatte. Die Tantiemen werden langsam weniger, daher werde ich wohl ein paar neue machen. Ich bin für meine zweideutigen Calypsos bekannt und beliebt, aber ich bin ein aufrichtiger Katholik und habe viele ergreifende Calypsos voll echt religiösem Gefühl geschrieben. Einer davon ist ein Choral, der so anfängt: ›Der heiligen Jungfrau wurde ein Junge geboren. Das Kind kam vom Himmel herab und der Name des Kindes war Jesus.‹«


Wieder wurde er unterbrochen.


»Kommst du jetzt und hilfst mir mit dem Paylou!«, rief Mrs. Lynch. »Es ist Pause!«


»Immer hängt alles an mir«, sagte Houdini im Aufstehen. »Nach so einem Picknick schlafe ich eine ganze Woche durch.«


Er eilte zur Bar und löste den Strick vom Topfdeckel. Dann nahm er den Deckel ab, schöpfte Reis und Hühnerfleisch auf Pappteller und verteilte das Paylou. Mrs. Lynch gab die Patties aus, kleine, fleischgefüllte und mit Kräutern gewürzte Teigtäschchen, die in Wachspapier eingeschlagen waren. Nach kurzer Zeit schickte Houdini einen Mann in Mrs. Lynchs Wohnung, um zwei weitere Töpfe mit Paylou und Patties zu holen. Jeder, der den Abriss einer Eintrittskarte zu fünfzig Cent vorweisen konnte, erhielt einen Teller Paylou von Houdini und eine Patty von Mrs. Lynch. »Die Patties habe ich gemacht«, sagte Houdini. »Sie tragen meine Handschrift.« Die Leute aßen im Stehen, und bald war der Boden um die Bar herum übersät mit Papptellern, Pappgabeln und leeren Flaschen. Eine ältere Frau saß in der Ecke auf einem Stuhl und schlief friedlich und mit offenem Mund inmitten des Trubels. »Die hat sich ja den richtigen Zeitpunkt ausgesucht für ihr Nickerchen«, bemerkte Houdini. »Wenn sie nicht bald aufwacht, verpasst sie das Paylou.« Er ging zu ihr und rüttelte sie wach, dann legte er ihr einen Teller Paylou auf den Schoß. Sie blinzelte schläfrig und sagte: »Dank dir, und jetzt hol mir noch eine Gabel.« Als die Pause um halb drei zu Ende ging, machte sich die Kapelle wieder ans Werk. Um drei Uhr verabschiedeten Mr. Perez und ich uns von Mrs. Lynch und Houdini. Auf dem Weg zur Treppe blickte ich mich noch einmal um und sah, wie Houdini wieder auf den Stuhl stieg. Er fing an, auf der grünen Ginflasche einen Rhythmus zu klopfen und einen Calypso zu singen; Mr. Perez sagte, er hieße »Tiger Tom Kill Tiger Cat, Damblay Santapie and Rat«. Ich fragte ihn, was der Titel bedeute. »Keine Ahnung«, antwortete er, »aber vermutlich hat es was mit einer Frau zu tun.«


Als wir unten auf der Straße waren, gingen Mr. Perez und ich noch in ein Nachtcafé, um eine Tasse Kaffee zu trinken. Ich fragte ihn, wie der Calypso entstanden sei, und er zitierte einen Liedtext von Lord Executor.


Du willst wissen, was Calypso ist?


Einst sangen die Kreolen dieses Lied. 


Zu Trommeln tanzte man im Bambuszelt


Und sang Patois, wie’s uns gefällt.


Nun spielt man sie schön Ton für Ton


auf einem Grammophon.

Mr. Perez sagte, dass Calypso wahrscheinlich ein altes Patois-Wort sei und »Arbeitslied« bedeute. Zwischen dem Calypso als Lied und der Nymphe Calypso in der Odyssee scheint keinerlei Zusammenhang zu bestehen. Nach Ansicht von Historikern auf der Karibikinsel haben die Calypsolieder ihren Ursprung darin, dass aus Afrika verschleppte Sklaven sich in rivalisierende Gruppen aufteilten und bei der Plantagenarbeit mit derben Schmähliedern gegeneinander ansangen. Abends in den Hütten richteten sich die Gesänge jedoch gegen ihre Herren. Einige Calypsonians stehen noch heute in dieser Tradition. Als Sir Alfred Claud Hollis, der frühere Gouverneur Trinidads, nach England zurückkehrte, sang ein Calypsonian: 


Ich sage offen, was ein jeder heimlich findet:


Gut, dass dieser Hollis nun verschwindet.


Ihn kümmert doch nur sein Vergnügen


Und nicht, ob wir hier Arbeit kriegen.

Der Growler und Attila the Hun sind wegen ihrer Kritik an der Kolonialverwaltung schon öfter im Gefängnis gelandet. Die Beamten der Krone sind sich aber offensichtlich nicht ganz im Klaren, wie sie mit dem Calypso verfahren sollen. So setzen sie einerseits zu Mardi Gras Preise im Wert von fünfhundert Dollar für die besten Lieder aus, andererseits unterwerfen sie die Sänger einer strengen und manchmal lähmenden Zensur. Mr. Perez muss jedes Lied, das er auf Schallplatte herausbringen möchte, beim Kolonialsekretariat einreichen. Viele der originellsten Lieder wurden abgelehnt, weil sie angeblich sittenwidrig, blasphemisch oder »gegen die Regierung gerichtet« waren. Einige Calypsonians bekommen auch deswegen Ärger mit der Verwaltung, weil sie Erpressungslieder schreiben. In so einem Fall erfährt ein Sänger etwas Kompromittierendes über einen bekannten Trinidader und schreibt dazu ein Lied. Dann geht er damit zu dem Betroffenen und bietet ihm an, das Lied für ein paar Dollar in der Schublade zu lassen. Manchmal gibt er das Lied auch trotz Bezahlung in Cafés und Rumschenken zum Besten, einfach aus Boshaftigkeit oder aus Spaß.


Der wichtigste Förderer der Calypsonians ist ein portugiesischer Geschäftsmann namens Edward Sa Gomes, der auf Trinidad und der Nachbarinsel Tobago mehrere Musikalienhandlungen besitzt. Immer wieder borgt er den Sängern Geld und hinterlegt die Kaution, wenn einer von ihnen mal wieder im Gefängnis gelandet ist, und er vermittelt bei ihren dauernden Streitereien. Außerdem hilft er Mr. Perez, die Sänger für Schallplattenaufnahmen aufzuspüren. Für ein Lied zahlt Mr. Perez den Calypsonians zehn Dollar und Tantiemen. Einmal hat er auf einer Reise dreihundert Calypsos aufgenommen. Sobald die Sänger ihr Geld erhalten haben, setzen sie es in Kleidung und Schnaps um. Ständig liefern sie sich irgendwelche Scharmützel, die zum Teil auch geschäftliche Gründe haben. So nahm Houdini vor einiger Zeit eine Schallplatte mit einem Schmählied namens »Lord Executor, the Homeless« auf. Prompt antwortete der mit einer ähnlichen Schmähplatte, »My Reply to Houdini«. Natürlich kauften die Trinidader beide Schallplatten, um herauszufinden, wessen Ruf am stärksten zu leiden hatte. Lord Executor ist gewissermaßen der Anführer der Calypsonians. Er ist alt, knorzig und recht empfindlich. Auf der Straße führt er häufig Selbstgespräche. Er behauptet, er komponiere, aber seine Kollegen meinen: »Der Executor hat einen Quasseltick.« Seine Lieder sind allesamt düster und tragen Titel wie »Seven Skeletons Found in the Yard« oder »I Don’t Know How the Young Men Living«.


Obwohl nur wenige Calypsonians lesen und schreiben können, behalten sie hunderte Lieder auswendig im Kopf. Dennoch singt kein Calypsonian ein Lied zweimal auf dieselbe Weise. Das würde ihn langweilen. Sie verachten einander. Je mehr Hunger sie haben, desto hochmütiger sind sie. Es ist typisch für einen Calypsonian, über seine Kollegen etwa Folgendes zu singen:


Sie laufen rum mit Zahnstochern im Mund,


Damit ein jeder denkt, sie hätten grad gegessen. 


Und ihre Betten kaufen sie am Tag auf Pump,


Damit die Händler sie nachts holen – mitsamt Kissen.

Auf seine Weise besitzt der Calypsonian ein hohes Ehrgefühl. Er hat zwar keinerlei Skrupel, sich eine Flasche Rum, ein Paar Schuhe oder das Mädchen eines anderen Calypsonian unter den Nagel zu reißen, aber nie würde er ihm ein Lied klauen. »Lord Executor würde sich eher erschießen, als dass er einen Calypso von Houdini sänge und umgekehrt«, sagte Mr. Perez. Alle Calypsonians halten sich für unwiderstehlich. King Radio, ein kleiner einäugiger Mann mit dunkler Brille, prahlt damit, dass er von fünfzig Frauen ausgehalten wird. Mr. Perez zitierte einen von King Radios Texten:


Noch einen so wie mich gibt’s nicht,


Der wie ich als Liebhaber besticht.


Schon fünfzig Frauen zahl’n für mich 


Und alle aus der Oberschicht.


Sogar fürs Telefon, da hab ich wen,


Ruf bei mir an, dann wirst du’s sehn.


Viele seiner Lieder enthalten auch Ratschläge über den Umgang mit Frauen. Ein Lied heißt »Man smart, Woman Smarter«. Ein anderes beginnt so:


Willst du glücklich sein und herrlich leben,


darfst du keine schöne Frau dir nehmen.


Sieh’s mal logisch und sei klug,


Such dir ein Weib, das hässlicher ist als du.

Die Calypsoschallplatten, die sich in den Vereinigten Staaten am besten verkaufen, erzählen Geschichten über Nettie, Nora, Lizzie und andere leichte Mädchen. Gut gehen aber auch Aufnahmen über die weiblichen Qualitäten von Mrs. Simpson und die Abdankung von König Edward VIII. Seine Abdankung war sogar das beliebteste Thema in der Geschichte des Calypsos; jeder Sänger versuchte sich daran. Nach allgemeinem Dafürhalten hat sich der Caresser dabei am besten geschlagen. In seinem Lied vertrat er die Meinung, der englische Premierminister, der »alte Baldwin«, würde den König in England gefangen halten und daran hindern, über den Atlantik zu fahren und Mrs. Simpson in New York zu heiraten. Der Refrain des Caresser-Calypsos geht folgendermaßen:


Es ist Liebe, Liebe und sonst nichts


Sie ist der Grund des Thronverzichts

Andere Strophen lauten:


Oh, welch bittere Enttäuschung


War’s für die britische Regierung,


Als am zehnten Zwölften jeder davon sprach,


Dass der König seinen Thron aufgab.

Ach, wie tut mir meine Mutter leid,


Doch was hilft’s, ich bin bereit.


Ich habe Geld, und ich bin stark


Und flott genug selbst für New York.


Und sollt ich keine Schiffe finden,


Lauf ich übers Wasser zu Miss Simpson.


Er sagt, ich kann die Krone nicht vergessen,


Doch noch schlechter kann ich von Miss Simpson lassen.


Sieht man Miss Simpson auf der Straße gehen,


bleiben selbst im Flug die Engel stehen.


Lass Orgeln dröhnen, Glocken schellen,


Viel Glück dem zweiten König aller Junggesellen.

Da war der Gorilla in seinem Lied über die Abdankung etwas aufsässiger. Er sang:


Wär ich König, Freunde, ich träf meine Wahl, 


Was die Leute dazu sagen, wäre mir egal.


Den Ring steck ich doch jeder an,


Solang sie putzt und kocht und tanzen kann.

(1941)


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Joseph Mitchell

Joseph Mitchell

 (1908 – 1996) est né dans une ferme de tabac et de coton en Caroline du Nord (États-Unis).
Après de brèves études, il attire l’attention d’un éditeur grâce à un reportage et s’installe définitivement à New York en 1929. Il relate alors pour le Morning World et le Herald Tribune, puis pour le New Yorker, où il passera cinquante- huit ans, les rues de la ville et la vie des hommes qui les peuplent. Après la publication de ses articles sous forme de recueils, il s’est vu récompensé par l’Académie des Arts et des Lettres en 1965 et par le prix de littérature de Caroline du Nord en 1984. Sa passion pour ceux qu’il refuse d’appeler les petites gens, son intérêt pour les marginaux et les oubliés du rêve américain, son style élégant et soigné ainsi que son humour caustique en font l’un des inventeurs d’un nouveau journalisme de terrain et lui ont valu le surnom de « parangon des reporters ».

Autres textes de Joseph Mitchell parus chez DIAPHANES
Joseph Mitchell: McSorley’s Wonderful Saloon

Joseph Mitchell

McSorley’s Wonderful Saloon
New Yorker Geschichten

Traduit par Sven Koch et Andrea Stumpf

relié, 416 pages

Ein Besuch auf einer Schildkrötenfarm, die einen Großteil des nordamerikanischen Bedarfs an Schildkrötenfleisch deckt; das Porträt einer seit 1854 bestehenden New Yorker Kneipe; ­schwindelfreie Indianer im Stahlhochbau; findige Nichtstuer, hochbegabte Kinder, Muschelfischer und bärtige Damen; eine Schilderung der Institution »Beefsteak«, einem Begängnis, bei dem es ums Vertilgen ungeheurer Mengen Fleisch geht; der fundamentalistische Straßenprediger, der das Telefon für seine Zwecke entdeckt hat, oder Captain Charleys Museum für intel­ligente Menschen: Joseph Mitchells Geschichten, Porträts, Reportagen und Erzählungen sind längst Klassiker amerikanischer Literatur.
 
Mitchell ist ein begnadeter Zuhörer, der vor allem die von ihm Porträtierten selbst zu Wort kommen lässt. In seinen »teilnehmenden Beobachtungen« verbindet sich Sachlichkeit mit literarischer Anschaulichkeit der Beschreibung, subjektivem Humor und scharfer Beobachtungsgabe. Immer wieder zieht es ihn zu den Käuzen, Exoten und Exzentrikern seiner Stadt. Mit Hingabe widmet er sich aussterbenden Milieus, Phänomenen, die alsbald der Vergangenheit angehören werden, und immer wieder dem pulsierenden Leben der Hafenstadt New York.

Joseph Mitchells legendäre Reportagen gehören zur Ge­schichte New Yorks, sie lesen sich wie Bohrungen in einer heute verschütteteten Zeitschicht jener Stadt, die mehr als alle anderen die Moderne verkörpert. Die hier versammelten Geschichten sind in den Jahren 1938 bis 1955 im Magazin New Yorker erschienen. Für das deutsche Publikum weitgehend Neuland, eröffnen sie dem Leser ungeahnte, beglückende literarische Entdeckungen.