»Ich forsche«, sagte ich. »Ich baue nicht.«

Marlene Streeruwitz

Der Autor ist nicht die Autorin

Date de parution : 04.12.2019

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Der Autor ist nicht die Autorin. Der auteur ist nicht »une femme auteur«. Ist nicht l’autrice. La plume. La romancière. L’auteure.


Wenn nach Foucault der Autor dem Helden nachfolgend seinem Text vorangeht. Wenn der Text dann zu jenem Raum wird, der vom Autor erschrieben den Tod des Autors bewirkt, dann ist der Autor der Verbrecher, der der Held immer war, indem er durch seine Person und sein Werk jene Verhältnisse bestätigte, die darüber bestimmten, wem in der gesellschaftlichen Vereinbarung von Schuldner und Gläubiger die Schulden erstattet werden. Frauen können nicht Gläubiger sein. Gläubigerinnen schon gar nicht. Die Autorin muß also erst lernen, den Helden nachzustellen, um überhaupt in die Nähe einer Gläubigerinstanz zu kommen. Danach muß sie lernen, im Text der Hegemonie ausgelöscht zu werden, um zu der Erkenntnis durchzustoßen, wie sie um ihre Gläubigerinnenrechte geprellt schon als Gläubiger nicht akzeptiert wird. Die Autorin wird die Vielstufigkeit der Hegemonien durchlaufen haben müssen, um der eigenen Stimme auf die Spur zu kommen. Sie wird sich in keinem Augenblick dieses Durchlaufens der kulturell stimmengebenden Hierarchien so selbst dafür verurteilt haben dürfen, daß ihr dann alle Töne verbraucht sind. Die Autorin wird ihren Schrei rettend die Vernichtungsräume der hegemonialen Kultur durchlaufend ertragen haben müssen, zu keinem Zeitpunkt eine Wahrheit zugestanden bekommen zu haben. Die Autorin wird zur Rettung ihres Schreis den Vernichtungsraum des Texts nachgebaut haben müssen, um die Erstickung ihres Schreis studieren und begriffen haben zu können. Im Vorgang des Verschwindens wird sie erkannt haben können, daß es genau der Bau einer solchen Kammer ist, der tötet. Die Autorin wird, wenn sie noch Zeit hat, in die Zeit entkommen können. Die Autorin wird feststellen, daß wie im realen Leben die Zeit der einzig bestimmende Faktor sein kann. Die Autorin, wenn sie noch die Kraft hat, wird alle Mittel des Literarischen in einer großen Geste aus dem Häuschenbau des Werks befreien und in die Zeit preisgeben. Die Autorin wird dann Gläubiger und Gläubigerin sein und Gerechtigkeit geben und nehmen können.


Ganz im Sinn der erlernten Denkform des Häuschenbauens als Raumkonzept des Denkens ist auch die obenstehende Beschreibung klar und als Blaupause zum Nachbau gedacht. Diese Art des Denkens und Schreibens zieht nicht die Wirkung der Zeit in Betracht. Im Gegenteil. Die Zeit wird während des häuschenbauerischen Denkens künstlich stillgestellt. Wir haben deshalb keine Möglichkeit, das Ineinandergreifen der Prozesse in der Zeit wiederzugeben. Der Vorgang eines solchen Prozesses der Durcharbeitung ist wohl eher so zu sehen. Die Person des Prozesses läuft durch ein Labyrinth, das die Person während des Laufens mit allen Hindernissen selbst entwirft.


Das Denkhäuschen des Autors. Der Autor baut sich ganz nach den Ermöglichungen der Aufklärung sein Gefängnis selbst. Denn. Dieser Denkhäuschenraum, in dem er sich selbst im Schreiben zum Verschwinden bringen muß, weil er sich nicht mehr der körperlichen Gewalt des Helden bedienen darf. Und das ist im Plan der Aufklärung verankert. Die Umwandlung des Helden in den Beamten des Zentralstaatlichen. Der Weg von der körperlichen Gewalt des Helden in verwaltungsstaatliche Gewaltanwendung durch den kastrierten, nicht sichtbaren Beamten, dem aber zum Selbstregieren im Familienrecht im Code Civil die Gewalt des Hausvaters zugestanden worden war. (In Österreich herrschte der Code Civil im Familienrecht von 1811 bis 1975.) Dieser in zwei Sphären gespaltene Mann. Der Autor war ebenso am Bau des Gefängnisses beteiligt, in dem die Gewaltausübung gegen sich selbst Prestige und Aufstieg versprach. Als Hausvater konnte der Autor wiederum alle Verbrechen begehen, weil er privat der Gefängniswärter seiner Familie war. Der Mann.


Der Autor. Er mußte nur die Spaltung genügend scharf einhalten können. Aber kann der Autor das. Konnte der Autor das. Bürgerlicherweise. Es galt ja, das Private zu erzählen. Die öffentliche Erzählung war in der Kontrolle der Bürger zur Wiederholung der privaten Erzählung geworden und die Literatur nahm diese Nacherzählung auf. In der Individuierung des gespaltenen Manns nur im Privaten. Es konnte. Es durfte ja nur das Private des Manns individuiert werden. Die Rolle im Staat war in Uniformen angeglichen. Beamter oder Soldat. Sie übten die anonymisierte Gewalt des bürokratischen Zentralstaats aus. Ohne Genugtuung geschah das. Die desinvoltura sprezzata zwang diese Männer immer noch in die unbewegte Miene und die Abwehr jeder Veröffentlichung innerer Regung. Das Abenteuer des Helden mußte ins Private gestopft werden. Der Bericht davon. Das wurde Literatur genannt. Weiterhin stand der Held an der Wegkreuzung und wartete auf den Drachen. Und manchmal. Wenn der Drache erkannt wurde, wie Kafka das tat. Dann wurde der Raum sichtbar gemacht, in dem die Lebenszeit des Manns in angeordneter Gewaltanwendung gegen andere und sich selbst zuzubringen war. Zugebracht wurde. Dann wurde sichtbar, daß es die Zeit ist, die vernichtet wird. In diesem selbsterschriebenen Gefängnis.


Die Autorin. Sie bleibt schon in der Rezeption außerhalb dieses Raums. Sie weiß aber alles über die Anordnungen des Privaten. Sie ist mitgefangen in dem Raum, in dem der Mann das Abenteuer erzwingen muß, um im anderen Raum aufsteigen zu können. Über diese Gefangenschaft weiß die Autorin dann wiederum mehr über den öffentlichen Raum, als der Mann selber wissen darf. Aber dahin kommen. Das wird sie nicht. Sie wird von ihrem Verleger nach Paris eingeladen werden, aber der Verleger wird ihre Texte nicht gelesen haben. Er kenne die Frauen, wird er gesagt haben. Sie könnte eigene Verlage gründen. Die alten Verlagshäuser werden lieber zugrunde gehen, als die öffentliche Welt mit ihr teilen. Der Autor da. Er vernichtet sich lieber im Schreiben und kassiert Prestige und Geld, als daß er die Hälfte freiließe und zugäbe, über die Hälfte der Welt nichts zu wissen. Nichts wissen zu können. Und damit nichts über die Welt überhaupt gewußt zu haben und nur immer an der Rekonstruktion der bekannten Hälfte gearbeitet zu haben. An der Heilung des nie alles erfassen dürfenden Blicks beteiligt gewesen zu sein. Beteiligt zu sein.


Im Faschismus. Und da sind wir heute. Im Faschismus findet die Spaltung des Manns darin Heilung, daß der private Mann mit der Öffentlichkeit verschmolzen ist. Private Ansichten und Vorurteile werden politische Rede und Geste. Faschismus kommt aus der Situation des Hausvaters, der ungeprüft predigen und zuschlagen darf. Der Staat muß schwach geworden sein. Die zentrale Gewalt nicht zentral genug und ohne Gewalt geworden. Was einer sich denkt. Der gesamte Apparat, den Foucault der Autorschaft zuvor legt. Dieser Apparat gilt für den öffentlichen Anteil des Manns. Den anzuerkennen macht den bürgerlichen Mann. Dann aber. Es ist faschistische Strategie, diesen Code nicht anzuerkennen und jedem anderen Hausvater zuzurufen, daß er schon recht habe. Das heißt, die im Privaten erhaltenen Süchte und Abergläubigkeiten werden zur Theorie erhoben. Zur Handlungsanleitung. Der Autor Foucaults hat an der Erhaltung der Spaltung mitgearbeitet. Der Autor. Wer so bezeichnet wird und wurde. Autor wurde einer doch nur, wenn er diese Arbeit an der Unsichtbarkeit der Spaltung und dem Unrecht davon leistete. Am besten als Märtyrer. Auch Foucault findet es richtig, daß einer an seinem Text stirbt. Und ein gerechter Mann muß zugrunde gehen, wenn er sich an dem Verbrechen der Unterdrückung aller anderen beteiligt. Wissend oder unwissentlich bestätigt dieser Märtyrer dann aber wiederum das System der Spaltung und erst der faschistische Mann durchbricht diese Teilung. Er ist Gewalttäter im Öffentlichen und im Privaten. Der sich selbst ermordende Autor bestätigt im Selbstmord dann nur den Tod des Öffentlichen.


Wir sind am Anfang eines neuen Spiels. Der rechte Autor kehrt zurück und wie damals. Er wird selbst zur Repräsentation der Spaltung. Er. Sein Körper. Er symbolisiert die Aufhebung der Spaltung in den privaten Text. Der faschistische Autor muß ein faschistischer Mann sein, um auf der überzeitlichen Wirkung seiner Literatur bestehen zu können. Durch Reklamation in den literarischen Kanon wird er am Ausbau des literarischen Gefängnisses des Lesers arbeiten müssen, um als Autor erkennbar zu sein. In der einfachen Kippwirkung eines binären Systems von öffentlich und privat wird er auf seiner Privatheit bestehen müssen, die schon die Öffentlichkeit darstellt.


Der rechte Autor wird – und das tut der Autor auch schon immer –, der rechte Autor wird der realen Auflösung der Spaltung im faschistischen Mann folgend den Staat und die Person wieder gleichsetzen. Er wird die Räume des Staats und des Privaten ineinanderrammend zu einem Kontinent verschweißen. Und so alle Gewalt von den Ketten lassen. Der ungestraft schmähende und prügelnde Hausvater wird zum ungestraft schmähenden und prügelnden Helden. Wiederum der Held. Und irgendwann. Die Sache wird wieder von vorne beginnen.


Es wird sich nichts ändern, bevor nicht die Autorin gehört worden ist. Die Autorin.


Das unanalysierte Unbewußte oder Nicht Zur Kenntnis Genommen Werden Müssende des ungehindert Privaten des hausväterlich Mächtigen. Das ist in den Text eingelassen. Es mag sein, daß die Widerstreitigkeiten, die sich aus kritischer Absicht und affirmierendem Unbewußten und Superego herstellen mögen, am Ende zum Tod des Autors führen. Das aber, weil er sich im Raum mitgefangen nehmen hatte lassen im Glauben, zu Heldentum zu gelangen. Am Ende ist dieser Märtyrertod aber dann ein Dienst am Chauvinismus und erhält den erschriebenen Raum des Fiktiven als Austragungsort der Wirklichkeiten.


Der faschistische Mann, der der Autor sein muß, um als solcher erkannt zu werden. Die Ergebnisse bürgerlicher Männeremanzipation werden übernommen. Die dahinterliegenden Theoreme und herausgearbeiteten Erkenntnisse nicht.


Wir kennen das von der Frauenbewegung. Von der haben antiemanzipatorisch eingestellte Frauen am meisten profitieren können. Sie haben die herbeigearbeiteten Zugänge benutzt, ohne die vorangegangene Durcharbeitung der Verhältnisse auch nur zur Kenntnis zu nehmen. Sie können chauvinistische Politik auf den Plätzen des Emanzipierten sprechen und so die chauvinistische Politik verstärkend den Zugang zu emanzipatorischen Vorgangsweisen verstellen. Das Prinzessinnensyndrom hilft dann zusätzlich, wenn Marine le Pen ihren Vater entthronend doch alle Prägung ihrer Prinzessinnenerziehung verdankt.


Gestern. 14. März 2019. Bieberstein war durch die Handysperre durchgekommen. Ich weiß nicht, wie er das gemacht haben soll. Aber na gut. Ich entsperrte. Das Verhältnis war in den 80er Jahren gewesen. Wir kennen einander also sehr gut. Am Nachmittag rief er schon an. Er mußte es also oft versucht haben bis dahin. Er habe meinen Aufsatz im Standard gelesen und er müsse mir sagen, es träfe ihn zutiefst. Bei jedem Text träfe es ihn zutiefst, wie verletzt ich ihm vorkäme. Ich sagte, »Das soll es auch.« Schließlich sind die Texte Kritik an den Machtverhältnissen und ein ehemaliger Banker in der Auslandsabteilung der ehemals größten Bank des Lands ist wohl im Zentrum der Macht anzusiedeln. Und dann kam die Kritik an Ilse Aichinger. Sie wäre immer selbstreferentiell. Er könne sich da nicht finden. Natürlich kann er sich nicht finden. Aichinger ist eine Autorin. Aber. Wir. Die Leserinnen. Wir haben den ganzen Kanon zu lesen gehabt und ihn immer selbstreferentiell finden müssen. Der Autor kann das als Selbstverständlichkeit voraussetzen. Ein pensionierter Banker wird sich immer im Autor finden und die Autorin als zu selbstreferentiell wegschieben können. Wörtlich so. Die beiden Bücher von Ilse Aichinger sollen unter allen Umständen zurückgegeben werden. Das mag auch als Gelegenheit aufgefasst werden, mich treffen zu können. Ich werde die Nummer wieder sperren. Ich habe diesen Mann einmal ein wenig gemocht. Er war ausbeuterisch und autokratisch. Aber er war an mir wenigstens als Frau interessiert gewesen. In den Zeiten, in denen ich um mein Leben und mein Ich ringend als Alleinerzieherin das Geld für meine Kinder und mich verdienen mußte. In den Zeiten, in denen ich für Chefs in der Art von Donald Trump arbeitete, um am Abend dann schreiben zu können. In den Zeiten, in denen ich in schlafwandlerischer Weise auf diesem Ziel bestand. Da war diese einseitige Beziehung entlastend. Ablenkend. Gefährlich. Eine Herausforderung, noch eine Last aufzunehmen und endlich und endgültig zusammenzubrechen. Der Kampf gegen und mit meinem Superego war da auf dem Höhepunkt. Ich mußte funktionieren. Ich durfte nicht so funktionieren. Die Rigidität half zu ertragen. Die Rigidität lud immer mehr Pflichten auf. Am Ende war es mein Rückgrat, das nachgab. Der totale Prolaps L4 und die Folgen der damals noch notwendigen Myelographie. Wochenlanges Liegen. Totales Versagen. Hinken am Stock. Krüppeldasein. Bieberstein gehörte in dieses Chaos als immerhin jemand, mit dem zu kommunizieren war. Wenngleich diese Kommunikation den Ausschluß der Alleinerzieherin aus der Gesellschaft benutzte. Ich fühle mich nicht ausgebeutet. Aber ich weiß, daß die Biebersteins nie abwogen, was ihre Attentionen für die andere Person bedeuteten. Die Biebersteins haben immer Schulden bei den Frauen, mit denen sie Verhältnisse haben. Die Ehefrauen sind in diesem System des Schuldenanhäufens auch zu den Geldwechslerinnen gemacht, denen die Zahlung der Schulden in der Art eines k.u.k. Offiziers immer wieder aufgeschoben werden, bis die Wechsel endgültig fällig gemacht werden. In den Machtverhältnissen der Geschlechterungerechtigkeit bedeutet das, daß die Geldwechslerinnen die Konsequenzen tragen müssen. Nicht die Schuldner. Die Frau von P. ist daran gestorben. Von der Frau vom Bieberstein weiß ich es nicht. Glücklich wird sie dieser stete Betrug nicht gemacht haben. Es amüsiert mich zu wissen, daß Bieberstein auch ein Verhältnis mit Hannelore hatte. Auch wir Geliebten wollen Exklusivität. Das mit Hannelore ist Betrug für mich. Die Ehefrau war es nicht. Und zeigt das nicht ganz genau, wie wir in diese Männerspaltung eingeübt worden sind und sie so selbstverständlich reproduzieren können. Weil ich auf Abenteuer aus bin, fiel ich auf die Geliebtenseite. Die gehört zum Öffentlichen. Zu dem, was einem Mann zusteht und mit dem er mit den anderen Männern darum buhlt, ein Mann zu sein. Die Geliebten. Selbst wenn er nicht darüber redet. Sein geheimes Wissen über diesen Reichtum macht ihn sicher und stark. Stabilisierung der konzentriertesten Art ist das. Und die Geliebten. In meiner Generation sorgten sie längst für sich selbst. Waren keine ökonomische Last. Die Lebensnot einer Frau in ihren Dreißigern. Heute sehe ich das Politische daran. Damals. Ach, damals. Es wurde ja auch nur über ihn gesprochen. Eine einzige lange Therapiesitzung war das. Sex eingeschlossen. Bieberstein redete über seinen Feind F. und wie er ihn am Erfolg hinderte. Es würde mich heute nicht wundern, wenn Bieberstein während des Fickens an diesen F. denken hatte müssen und wie er es ihm zeigen würde. Oder wie er von der Besessenheit von diesem Konflikt erlöst war. Währenddessen. Heute. 30 Jahre später. Bieberstein will mir erklären, was ich falsch mache. Beim Schreiben. Die Autorin. Sie ist zu selbstreferentiell. Bieberstein. Gediegenes 19. Jahrhundert. Wir wissen, daß er seine Kinder noch geschlagen hat. In Österreich wurden körperliche Strafen erst 1984 abgeschafft und in vielen Familien immer noch nicht. Seine Tochter studierte mit meiner Tochter auf der Angewandten. Seine Tochter erzählte es meiner Tochter. Erzählte es immerhin. Erzähltes gediegenes 19. Jahrhundert. Bieberstein geht nur in Kammerkonzerte, wenn Schubert gespielt wird. Gediegenes 19. Jahrhundert. Als Banker bereitete Bieberstein den Finanzmarkt mit vor, der dann 2007 zur subprime crisis führte. Bankencrashs. Staatsbankrotte. Der Verlust meiner Privatpension. Das ist besonders 19. Jahrhundert. Die k.u.k. Monarchie war allein im 19. Jahrhundert insgesamt fünf Mal pleite. Im Reigen von A. Schnitzler stellt der Geschlechtsakt für einen Augenblick jene Solidarität im Körperlichen her, deren Ende zur postkoitalen Depression führt. Die ist dann gleich wieder männlich oder weiblich. Aber. Einen Augenblick lang hatte der Koitus als Gemeinsamkeit in der Zeit Bedeutung. Diesen Augenblick spart der Autor aus. Muß das in der noch aufrechten Spaltung des Männlichen. Aber. Als Autorin habe ich mich bei Bieberstein nun auch um die Erinnerung an diese kleinen solidarischen Augenblicke gebracht. Ich habe mich herausgeschrieben. Selbstreferentiell und melancholisch. Die Eroberung der Zeit im Schreiben wird mir mit der Vernichtung meiner realen Zeit beantwortet. Das wiederum wäre das Schicksal des Autors. In seinen besonderen Raum verschoben und darin verschwunden. Das kann mir nicht geschehen. Ich schreibe mich nicht in einen Raum davon. Ich ergreife die Zeit und verharre in ihr. Ein Jahr schreiben für das Niederschreiben von 5 Stunden. Was mich mit dem Autor verbindet. Es ist der Wunsch der Rache an den vernichtenden Verhältnissen. Aber während der Autor in seinen Namen hinein vernichtet wird und sein Text sein Nichtgrab abgeben muß. Ich. Die Autorin. Sie war schreibend in der geschriebenen Zeit anwesend. Die Zeit ist in den Text niedergerungen und in aller Fröhlichkeit erneut zu durchleben. Moderne. Dem Raum mißtrauend, der Sesshaftigkeit verlangt und alles Unbewußte mit den Pflichten der Erhaltung des Raums umstellt. Vom Raum befreit und seiner Konstruktion des Erhalts der Mächte. Die Zeit. Sie ist das demokratischere Mittel. Sie gehört niemandem und der Mißbrauch an ihr wird sofort offenkundig.


31. Oktober 2019.

Die Bilder von Handke in allen Zeitungen. Auf dem Bildschirm. Sie sind schon nach unten gerutscht. Auf dem Bildschirm. Die Natur hinter diesem Autor. Bäume. Büsche. Ästegewirr. Immer steht dieser Autor vor Büschen und Bäumen. Vielleicht gibt es aber auch nur die Fotos von einem einzigen gewährten Fotoshooting. Die letzten Bilder letzthin. Der Autor hat ja mit Dem damals nichts mehr zu tun. Und mit nichts, was damit zu tun hat. Also auch mit sich selbst von damals und nur die neuesten Fotos stellen ihn dar. So ein Autor. So ein richtiger Autor. Der kann übersiedeln. Mittlerweile. Diese langen Leben und diese steten Veränderungen. Die Weltgeschichte und ihre Wechselfälle. Und wie alle anderen auch. Neoliberalerweise. Der Autor muß sein eigenes Häuschen sein. Sich selbst der Staat und die Kritik.


Im Nachruf für Harold Bloom im Economist. Er sei verzweifelt gestorben. Bloom habe sich gegen alle Anfechtungen durchgesetzt. Aber eben nur mehr für sich. Der Bloom’sche Kanon. Bloom habe den cultural turn nie anerkannt. Habe gekämpft gegen das Eindringen des Geschlechterdemokratischen. Habe das Häuschen des Autors als Bollwerk des Kulturellen gegen alle verteidigt, die ihr Geschlecht selbst benennen wollten. Die behaupteten, Selbstbenannte könnten Literatur schreiben. Götterdämmerung tritt immer auf, wenn die Anderen in den Raum treten. Wenn sie nicht mehr aufgehalten werden. Die Minderheiten. Die Feministinnen. Die Queeren und ihre 37 Geschlechter. Götterdämmerung. Wenn dem Autor die Deutungsmacht selbst in seinem selbstgemachten Häuschen entgleitet. Wenn die neoliberalen Selbstzweifel in das Häuschen eingezogen sind und die Sesshaftigkeit nicht mehr tröstet. Wenn der Autor zum privatest Hausväterlichen greifen muß, sich zu orientieren. Wenn die Spaltung in den öffentlichen Mann und seine Privatheit nicht mehr anerkannt wird. Wenn die Öffentlichkeit. Wenn das Allgemeine nicht mehr bei sich bleibt. Wenn der Autor darin beobachtet wird, welche Hausaltäre er versteckt. Wenn alles ausgespäht werden muß und das selbstgebaute Häuschen ohne Scham durchsucht wird. Wenn die Öffentlichkeit die Geheimpolizei ersetzt hat.


Ich habe es immer als schwierig empfunden, wenn in den Reality-TV-Serien wie »Promi Dinner« oder »Come dine with me« oder »The real Housewives of...«.


Wenn da die Teilnehmer und Teilnehmerinnen durch die Wohnungen ziehen und alle Laden aufmachen. Der Gastgeber oder die Gastgeberin. Sie erzählen gerade in der Küche wie sie dem Tira mi su ihre Persönlichkeit aufzwingen. Die anderen wühlen währenddessen in den Laden. Der Gastgeber oder die Gastgeberin. Sie werden nichts in den Laden liegen gelassen haben, was sie kompromittieren könnte. Das ist alles gestellt. Das ist alles vorbereitet. Das ist alles genau festgelegt. Nichts Überraschendes wird da zum Vorschein kommen. Und doch. Der Vorgang. Die vorgeführte Absicht, den Gastgeber oder die Gastgeberin in irgendeiner Weise stellen zu können. Zu erwischen. Irgendeine narzisstische Eigenschaft der Kamera vorzuführen. Jagen. Die Jagd. Jemanden erwischen. Dingfest machen. An den Pranger stellen. Vernichten. Wenigstens ein bißchen. Das Eindringen in die persönliche Sphäre. Es ist ein Teil des Erfolgs solcher Serien. Aufdecken. Offenlegen. Entblößen.


Der Autor. Harold Bloom sagte, ihm wäre es gleichgültig, ob Shakespeare ein Massenmörder war. Die Literatur. Das erbastelte Häuschen des Texts. Bloom hat es in einen Himmel verpflanzt. Er hat den Autor abtransportiert und begraben. Ihn von seinem Häuschen getrennt. Weil aber auch der verrottende Körper immer noch an den Körper des Autors erinnert. Der Autor in Blooms Kanon. Er muß im Namen. In der Zuordnung. Er muß am Leben bleiben. Es geht ja um das Heroische der Literatur. Der Körper des Autors in seinem erschriebenen Sarg des Texts. Der Körper des Autors ist wie in jeder Heldenverehrung die Oberfläche der Spiegelungen.


Und das ist dann das Dilemma heute. Wenn einer lebt und den Nobelpreis annimmt. Wenn einer nicht an dem Selbstgeschriebenen sich zu Tode geschrieben hat. Wenn er sich nicht mehr zu Tode schreiben muß, weil er immer Verbündete finden wird. In seiner hausväterlichen Privatheit. Seiner selbstentworfenen Räumlichkeit. Und. Wenn alle Behausungen und Sesshaftigkeiten aufgesucht werden können. Durchwühlt. Weil eine digitale Revolution stattgefunden hat, die weder Bloom noch den Autor um Erlaubnis gefragt hat. Wenn also die Hausaltäre nicht weggeräumt wurden.


Nun. In der österreichischen Literatur. Das ist eine lange Geschichte von solchen Hausaltären. Die wurden manchmal rechtzeitig versteckt. Die wurden oft nicht einmal weggeschafft. Die mußten sehr oft nur nicht mehr erwähnt werden. In der österreichischen Literatur gibt es viele Geschichten von Autoren, die manchmal Frauen sind, die ihre selbstgebastelten Häuschen nicht verlassen mußten. Ein Gedicht zur Entschuldigung. Und es wurden keine Fragen mehr gestellt. Diese Autoren, die von 1920 bis 1960 veröffentlichten. Sie mußten nicht mehr ihren Tod erschreiben. Sie delegierten den Tod an die, die damit zu tun hatten. Ständisch war das gewesen. Der Tod war dem Militär und der Polizei zugerechnet worden. Der Medizin. Autoren. Autoren, die manchmal auch Frauen waren. Sie besangen die Notwendigkeit des Sterbens für die Öffentlichkeit und behielten ihre Privatheit so für sich. Ein Gastgeschenk an die Macht war das gewesen. »Wir erleben den Tod als die Verklärung des Seins«, schrieb Josef Weinheber 1944. Solche Autoren. Und die können auch Frauen sein. Sie singen die Hymne der Gewalttätigkeit und sind so selbst gerettet. Der Tod muß aus dem Häuschen des 19. Jahrhunderts hinausgeschrieben werden. Der Autor. Und das ist dann ein Geschlecht, das alle anderen übertrumpft. Der Autor, dem die Autorschaft das Geschlecht geworden ist. Der ist in die von ihm versprachlichte Gewalttätigkeit gerettet. Damals wie heute.


Es war irgendwann im Sommer 1973. Ich saß in einem Salzkammergutgarten. Drei weiße Birken gaben den Schatten für den Tisch. Entfernt. Einen guten Steinwurf weg. Thomas Bernhard saß auf einem weißlackierten Gartenstühlchen. Siegfried Unseld und Claus Peymann schaukelten in der weiß und gelb gestreiften Hollywoodschaukel. Alle drei starrten in das Wasser des Swimmingpools. Und ich. Am Tisch. Unter den Birken. Weit entfernt. Szondi lesend. Ich war sicher. Dorthin nicht gehören zu wollen. »Ravelstein« war noch nicht geschrieben gewesen, mir das zu bestätigen. Die Enge und die Gewalt dieser Enge. Die wütende Konkurrenz im Erdachten. Die Hochfahrenheit im Zusammensitzen. Der Ausschluß jeder anderen Möglichkeit darin, daß andere Möglichkeiten des Denkens gar nicht gedacht werden durften. Ohnmächtiger Zorn war das beim Dasitzen. Und das Wissen, allein davongehen zu müssen. Unbegleitet und unbeschützt. Und die Sicherheit damals, für diese Männer ohnehin nur ein Körper in einem hellblauen Sommerdirndl zu sein. Und keine Fragen. Oder ein Interesse. Das wußte ich. Ich war sicher, mir meinen Weg selbst finden zu können. Ich. Die Alterität. Die junge Frau. An mir wurde vorbeigeredet. In der Annahme, ich wüßte ohnehin nicht, worum es geht. Es wurden Anekdoten und Intimstes von wiederum anderen Autoren und Ingeborg Bachmann herumerzählt. Bachmann. Sie war ein halbes Jahr zuvor gestorben. Auch sie war mir verhaßt. Damals. Sie hatte sich zum Objekt machen lassen in meinen Augen. Auch grammatikalisch. Ich wollte von diesen Männern nicht gelesen werden. Damals. Ich wollte in meinem ungeschützten Dahin in der Zeit nicht von diesen Männern beobachtet werden.


Heute. Ich weiß, daß es mir gelungen ist. Das Unbeobachtete. Heute. Unlängst. Wieder fragte mich ein Moderator, was es denn nun sei, mit meinem weiblichen Schreiben. Ob ich da immer noch auf der Suche sei. »Nein.« antwortete ich. »Nein. Ich bin auf der Suche nach dem Anderen. Nach dem, was von der Macht bestimmt nicht gesagt werden darf, und meine Sprache ist das Mittel dafür.« »Ich forsche«, sagte ich. »Ich baue nicht.«

  • paternité littéraire
  • féminisme
  • littérature
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Marlene Streeruwitz

née à Baden bei Wien, est une écrivaine et metteuse en scène autrichienne. Son œuvre, abondante, comprend des pièces pour le théâtre et la radio, des essais, et des romans. Elle a reçu de nombreuses récompenses, et a récemment publié Das Wundersame in der Unwirtlichkeit. Neue Vorlesungen (Le merveilleux dans la dureté, 2017), ainsi que ses romans Yseut (2016) et Flammenwand (Mur de flammes, 2019).
Autres textes de Marlene Streeruwitz parus chez DIAPHANES